Mahnwache am 22.01.2025 in Neubrandenburg

Sankichi Toge, Hiroshima-Überlebender (leicht gekürzt) „Nie wieder Hiroshima“

Wie könnte ich diesen Lichtblitz je vergessen! Im Nu hörten 30.000 Menschen auf zu sein und die Schreie von 50.000 Sterbenden.

Im gelben Rauch, der sich vor die Sonne legte zerbarsten Gebäude, stürzten Brücken ein, Straßenbahnen voller Menschen brannten, auf ihrem Weg durch Hiroshima, darin Aschehaufen ohne Zahl. Schon bald hing die Haut wie Lumpen herab, die Hände auf der Brust, ausrutschend auf verspritztem Gehirn, mit Fetzen verbrannten Tuchs um die Lenden, kamen endlose Reihen Nackter daher. Schreiend!

In der Mitte der Flamme, die sich gegen den Abendhimmel erhob Nahe der Straße, wo Mutter und Bruder von Trümmern lebendig begraben, Loderte das Feuer mit aller Macht

Auf Lagern aus Unrat in Abstellräumen, Berge von Menschen, Gott allein wusste, wer sie waren… Haufenweise Schulmädchen im Dreck, aufgedunsen, einäugig, die Hälfte ihrer Haut in Fetzen, kahlköpfig.

Die Sonne schien – nichts rührte sich. Wie kann ich je diese Stille vergessen, die sich auf die 300.000-Einwohner-Stadt legte?

Wie kann ich das Flehen vergessen, der von uns gegangenen Ehefrauen und Kinder, das in unsere Seele drang.

Ihr, die ihr weint, ohne Tränen die ihr schreit ohne Lippen für die Worte die ihr euch festklammern wollt, ohne Haut, wen zu berühren Ihr, mit zuckenden Gliedern, voll Blut und Eiter, verquollenen weißen Augenschlitzen, in zerlumpter Unterwäsche, als nunmehr einzige Kleidung, doch ohne jede Scham. Oh wie frisch und schön Ihr alle wart, vor dem Blitz eines Augenblicks, als ihr Schulmädchen wart, einen Blitz ist das her. Wer vermag das zu begreifen? Heraus aus den trüben, zuckenden Flammen des brennenden, faulenden Hiroshimas Tretet ihr, unkenntlich, sogar für euch selbst, ihr hüpft und kriecht, eine nach der anderen auf den Rasen. Draußen Haarsträhnen auf bronzenen Glatzen
In den Staub des Todeskampfes.

Ihr wirktet ungeheuerlich, konntet nicht wissen, wie weit weg ihr euch von der menschlichen Gemeinschaft befindet. Warum musstet ihr das erleiden? Warum, diese grausamste Verletzung? Hatte es einen Sinn? Warum?

Ihr denkt womöglich an Mütter und Väter, Brüder und Schwestern, würden wenigstens die euch noch erkennen? Denkt an Schlafen und Wachen, an Frühstück und Zuhause. Wo die Blüten der Hecke in einem Blitz verglühten und selbst die Asche verschwunden ist.

Ihr überlegt und überlegt, reglos unter Freunden, die sich nicht mehr rührten, eine nach der anderen erinnert euch, dass ihr jede von euch eine Tochter war Eine Tochter der Menschheit.

Ihr Kleinen verstummt nicht, sondern sprecht im Kampf gegen die Erwachsenen der Welt, die so gern Kriege anzetteln. Springt auf und ruft „Hey“ mit lauter, klarer Stimme und glänzenden Augen. Öffnet eure Arme, berührt jeden, den ihr wollt. Bringt mit eurer Umarmung Tränen der Güte in die Herzen aller Menschen zurück. Dann hüpft hinaus in die Welt und ruft: „Wir sind die Jungen und Mädchen, die Kinder Hiroshimas“

Sankichi Toge: 24 jährig, 3 km vom Epizentrum entfernt schrieb das Gedicht, als US Präsident Truman 1950, 5 Jahre nach der US- amerikanischen unnötigen Zerstörung Hiroshimas, im Koreakrieg mit Atomwaffen drohte. Wegen der Zensur konnte das Gedicht erst 1951 bei den „Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ in Ostberlin bekannt werden.

Er starb mit 36 Jahren an den Folgen der Bombe. Sein Nachruf steht auf dem Mahnmal, das ihm errichtete wurde:

Gebt mir die Menschen wieder
Gebt mir meinen Vater, meine Mutter wieder
Gebt mir Opa zurück und Oma
Gebt mir meine Söhne und Töchter wieder
Gebt mir mich selbst wieder
Gebt mir die menschliche Rasse wieder
Solange das Leben währt, diese Leben
Gebt uns Frieden Der nie endet

Seine Forderung steht im Einklang mit der von Micheline Maurel, die 1953 in ihrem Buch „Die Liebe besiegt alles“ ihre Leidenszeit im Neubrandenburger Außenlager des KZ Ravensbrück mit diesem Appell an die Menschen zusammenfasst:

„Du wahrer Gott, mache, dass es nie wieder Lager geben wird! Ich weine, weil es welche gab und weil es noch welche geben wird. Weil es Leute gibt, die wieder zum Krieg rüsten und neue Lager vorbereiten, und die nicht wissen, was das ist. Ich möchte ihnen zuschreien, still zu sein, ich möchte, dass sie all ihre Waffen zerstören. Ich möchte begreiflich machen, was Krieg ist“.

Wir fordern im Namen der Opfer und des Lebens von der Stadtvertretung im 80 Jahr der Atombombenabwürfe und der Befreiung auch des hiesigen KZ Außenlagers nachvollziehbares, praktisches Handeln, damit die Bundesrepublik Deutschland endlich dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt.